Die Berechnung der altersstandardisierten Inzidenzrate erfolgt mittels der direkten Altersstandardisierung. Hierfür werden die altersspezifischen Raten (je Altersgruppe, Geschlecht und Region) mit dem Anteilswerten der jeweiligen Bevölkerungsgruppe in der Standardpopulation gewichtet. Für den Krebsatlas wurde der alte Europastandard (Doll & Cook, 1967) als Standardpopulation verwendet. Für jede ReBe werden die jährlichen Fälle je 100.000 Personen, gemittelt über den ausgewählten Zeitraum (5- bzw. 10-Jahres-Zeitraum), ausgewiesen.
Das standardisierte Inzidenzverhältnis (SIR) wird berechnet, indem die die Zahl der in einer ReBe beobachteten Fälle ins Verhältnis gesetzt wird zur Zahl der Fälle, die sich bei der gegebenen Altersstruktur auf Grundlage der für ganz Niedersachsen (NDS) ermittelten altersspezifischen Inzidenzraten ergeben (indirekte Standardisierung). Der Wert ermöglicht einen unmittelbaren Vergleich der regionalen Erkrankungshäufigkeit mit der landesweiten. Anders als bei der ASR ist der Wert vom Alter der betroffenen Person unabhängig. Stichprobenschwankungen, die durch einzelne Fälle in schwach besetzte Altersgruppen entstehen, werden reduziert (Pickle, 2009).
Die folgende Formel wurde zur Berechnung der erwarteten Fälle verwendet, wo die ReBe und die altersspezifische Gruppe ist 1:
Das SIR ist der Quotient aus den beobachteten Krebsfällen und den erwarteten Krebsfällen einer ReBe. Das ungeglättete SIR wird im Krebsatlas aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht dargestellt.
Aufgrund der natürlichen Schwankungen, die bei kleinen Fallzahlen in kleinräumigen geografischen Einheiten auftreten, wurde eine räumliche Glättung durchgeführt, um die Stabilität der Schätzer zu erhöhen. So können Gebiete mit sehr niedrigen Fallzahlen, die durch geringe Bevölkerungszahlen bedingt sind, besser mit Gebieten verglichen werden, die höhere Fallzahlen aufgrund größerer Bevölkerungszahlen aufweisen. Durch die räumliche Glättung „leihen“ sich Gebiete Informationen von ihren Nachbargebieten, was die Schätzung zuverlässiger macht. Dabei wird die zugrunde liegende Fallzahl geschätzt, anstatt nur die zufällige Variation zu berücksichtigen (Duncan et al., 2019). Zudem reduziert die Glättung die Auswirkungen der Arbitrarität der Grenzen, die die geografischen Einheiten definieren (Duncan et al., 2019). Für diesen Zweck werden Spatial Bayesian Disease Mapping (BDM) Modelle verwendet, die räumliche Abhängigkeiten berücksichtigen und stabile Schätzungen ermöglichen (Lawson, 2021).
BDM-Modelle enthalten zufällige Effekte, denen eine bedingte autoregressive (CAR) Prior-Verteilung zugewiesen wird (Lawson, 2021). Dieser Prior spiegelt die räumliche Autokorrelation zwischen geografischen Gebieten wider, wobei benachbarte Gebiete mehr korrelieren als weiter entfernte Gebiete (Duncan et al., 2019). Mithilfe der räumlichen Glättung werden die Posterior-Schätzungen in Richtung eines globalen und lokalen Mittelwerts verschoben, was die Schätzungen (auch bei kleinen Stichprobengrößen) stabilisiert und robustere Ergebnisse liefert (Duncan et al., 2019).
Die Schätzung in BDM-Modellen basiert auf einer Posterior-Verteilung, die sich aus einer Wahrscheinlichkeitsfunktion und den Prior-Verteilungen für Modellparameter ergibt (Lawson, 2021).
Die Posterior-Schätzungen werden mit Markov Chain Monte Carlo (MCMC) Methoden durchgeführt. Dabei wird die Posterior-Verteilung durch Stichproben approximiert. Die ermittelten Stichprobenwerte werden dann verwendet, um die Zielgrößen, z.B. die SIR, zusammenzufassen (Lawson, 2021).
Durch die Implementierung einer Adjazenzmatrix in das BDM-Modell wird die räumliche Nähe zwischen den zufälligen Effekten für jedes Nachbarschaftspaar angegeben. Am häufigsten wird eine binäre Adjazenzmatrix erster Ordnung mit folgenden Elementen verwendet (Duncan et al., 2019):
Im Krebsatlas gelten benachbarte ReBe als adjazent, wenn sie mindestens einen Grenzpunkt teilen (Queen's Nachbarschaft) (Moraga, 2023).
In Anlehnung an den Australischen Krebsatlas wird das Leroux Modell zur Modellierung der Inzidenz verwendet (Duncan et al., 2019; Leroux et al., 2000). Das Inzidenzmodell ist gegeben durch:
wo die Anzahl beobachteter Krebsfälle in jeder ReBe ist. Die ertwartete Fallzahl wird durch indirekte Standadrisierung gebildet (siehe standardisiertes Inzidenzverhältnis), um für Populationsgröße und Altersstruktur zu adjustieren.
Die modellierte logarithmierte SIR , enthält einen Y-Achsenabschnitt , und räumliche zufällige Effekte in folgender Gleichung:
Als Prioren wurde eine Normalverteilung für den Achsenabschnitt und ein Leroux-CAR-Prior für den räumlichen Effekt gewählt, der einen gewichteten Mittelwert aus unabhängigen Zufallseffekten und räumlichen Zufallseffekten (unter Berücksichtigung der Adjazenzmatrix und der räumlichen Autokorrelation zwischen den ReBes) ermöglicht (Duncan et al., 2019).
Zu den posterioren mittleren SIR-Werten jeder ReBe wird das Credible Interval (CI) gebildet. Das CI ist das 95%-Credible Interval, welche durch Perzentile (2,5, 97,5) der MCMC Schätzer gebildet wird. In der tabellarischen Darstellung wird das 95%-Credible Interval angegeben.
In Anlehnung an (Duncan et al., 2019) wird die Wahrscheinlichkeit, dass der Schätzer der jeweiligen ReBe vom Landesdurchschnitt abweicht, durch die PPD dargestellt. Hierfür wird für die jeweilige ReBe die Differenz aus den Anteilen der Stichproben, die über 1 liegen, und den Anteilen der Stichproben, die unter 1 liegen, berechnet. Bei einer PPD von ≥60% wird die Bewertung getroffen, dass die Abweichung des wahren Werts vom Landesdurchschnitt wahrscheinlich nicht durch Zufall bedingt ist.
Geglättete SIR-Werte mit der dazugehörigen PPD für alle ReBe sind basierend auf (Duncan et al., 2019) mithilfe des V-Plots visualisiert. Der V-Plot zeigt, wie stark das Inzidenzverhältnis eines Gebiets vom Landesdurchschnitt (horizontale Achse) abweicht und wie zuverlässig diese Abweichung ist (vertikale Achse). Je höher Werte am oberen Ende der y-Achse liegen, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass es sich um eine nicht durch Zufall bedingte Abweichung vom Landesdurchschnitt handelt.
Weitere Kennzahlen wie bspw. der Deprivationsidex werden durch Sina plots dargestellt. Jede Kategorie der Kennzahl (bspw. jedes Deprivationsquintil) erhält einen Sina plot, der neben der Dichteverteilung der Daten auch die einzelnen Datenpunkte der ReBes zeigt (Sidiropoulos et al., 2015). Die Breite des Sina plots gibt zudem an, wie viele ReBes in der jeweiligen Kategorie vorhanden sind (Sidiropoulos et al., 2015).
Der Datenabzug umfasst alle berücksichtigten Diagnosen und wurde zentral aus dem Epidemiologischen Krebsregister Niedersachsen erstellt. Dieses Register erfasst alle gesicherten Krebsdiagnosen, die bei Einwohnerinnen und Einwohnern Niedersachsens gestellt werden. Die Meldung erfolgt durch Ärztinnen und Ärzte, Krankenhäuser und pathologische Institute gemäß den gesetzlichen Vorgaben. Das Sterbedatum erhält das Krebsregister von den Einwohnermeldeämtern.
Erfasst werden unter anderem:
Zeitpunkt der Diagnose
Tumorart und Lokalisation
Stadium und histologische Merkmale
Sterbedatum (falls zutreffend)
Die Daten werden regelmäßig geprüft, qualitätsgesichert und für die Auswertung vorbereitet. Die Auswertungen der ASR und SIR enthalten DCO-Fälle (Death certificate only; Fälle die dem Register ausschließlich durch Todesbescheinigungen bekannt geworden sind).
Die im Atlas dargestellten Auswertungen basieren auf dem Datenstand vom 1. Juli 2025.
Der Niedersächsische Index Multipler Deprivation (NIMD) wurde durch das
Department für Versorgungsforschung der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg
zur Verfügung gestellt (Hans, Schwettmann, et al. 2026, Unpublished manuscript)
und beruht auf dem German Index of Multiple Deprivation (GIMD). Der GIMD wurde
ursprünglich von W. Maier, J. Fairburn und A. Mielck entwickelt. GIMD und NIMD
erfassen die Benachteiligung auf regionaler Ebene anhand von sieben Domänen:
Einkommen, Beschäftigung, Bildung, Sozialkapital, Kommunale Einnahmen, Umwelt
und Sicherheit.
Die Regionstypen stammen aus dem Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und
Raumforschung (BBSR).
Die Inzidenzmodelle wurden in R (version 4.4.3) mit dem CarBayes Paket implementiert (Lee, 2013). Die Modellierung des Überlebens wurde mit dem popEpi (Miettinen & Rantanen, 2025) und OpenBugs (Sturtz et al., 2005) Paket durchgeführt.
Der Model fit wurde mithilfe von Visualisierungen beurteilt. In einem Scatterplot wurden die medianen geglätteten SIRs und beobachtete SIRs nach gerankter ReBe visualisiert, um die Glättung gegen die SIR von 1 aufzuzeigen.